Das Gedicht „Schmähkritik“ von Jan Böhmermann hat mir nicht gefallen. Satire, na gut, Kunst, diskutierbar. Wenn es aber um die Meinungsfreiheit geht, dann sind wir alle Böhmermann. Wenn wir unsere Meinung gesagt haben, dann können wir Böhmermann auch helfen, bessere Gedichte zu schreiben. Eventuell. Aber erst dann, wenn die Meinungsfreiheit gewahrt bleibt. Solange ist das Gedicht „Schmähkritik“ ein Meinungsfreiheit-Gedicht.
„Böhmermann hatte das Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit dem Titel „Schmähkritik“ am 31. März in seiner satirischen Fernsehshow „Neo Magazin Royale“ präsentiert – und vorher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass so etwas in Deutschland nicht erlaubt sei. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft.“
Soweit das ZDF auf www.heute.de (http://www.heute.de/boehmermann-und-schmaehkritik-gegen-erdogan-bundesregierung-prueft-anliegen-der-tuerkei-43048968.html)
Die Voraussetzung für eine Strafverfolgung einer Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten ist dann gegeben, wenn der „beleidigte“ Staat die Bundesregierung ersucht, eine Strafverfolgung einzuleiten.
„Der Botschafter der Türkei übergab mittlerweile eine entsprechende Verbalnote an das Auswärtige Amt (AA). Damit verlangt die türkische Regierung offiziell von Deutschland, dass die Bundesregierung das Ermittlungsverfahren wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatschefs genehmigt.“ (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-schmaehgedicht-setzt-angela-merkel-unter-druck-a-1086429.html#js-article-comments-box-pager)
§ 104a Voraussetzungen der Strafverfolgung
Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.
Das hat nun die Türkei getan und zwingt die Bundesregierung zu Beratungen, ob sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen soll.
§ 103 Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten
(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ist die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen, so ist § 200 anzuwenden. Den Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung kann auch der Staatsanwalt stellen.
Herr Erdogan war bei der Sendung des Gedichtes „Schmähkritik“ in Deutschland nicht zu Besuch. Neben allen Fragen von Meinungsfreiheit usw. ist nicht einmal die Voraussetzung für den § 103 (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) erfüllt, der Paragraph also nicht anwendbar.
Neben der fehlenden rechtlichen Voraussetzungen ist die
Böhmermann-Satire durch die Kunstfreiheit gedeckt.
Regierungssprecher Seibert hat bereits den Standpunkt der Bundesregierung offiziell mitgeteilt: die Meinungsfreiheit, Freiheit der Presse, der Wissenschaft und der Kunst seien für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weder nach innen noch nach außen verhandelbar. Konnte man überall lesen oder hören.
Ich habe Frau Angela Merkel nicht gewählt, aber sie ist die gewählte Regierungschefin der Bundesrepublik. Soweit ich mich erinnern kann, hat die Bundesrepublik auf die Schmähkritik und Beleidigungen während der Besuche von Angela Merkel in Griechenland und der Türkei (klugerweise) nicht reagiert. Die in Demonstrationen getragenen Plakate, auf denen Angela Merkel in Nazi-Uniform und ähnlich dargestellt wurde, sind während ihrer Staatsbesuche öffentlich auf den Straße getragen worden.
Es reichte, dass diese derart vorgetragenen Proteste ebenfalls breit öffentlich in den Medien diskutiert und diese Darstellungen als Kritik unter die Gürtellinie eingeordnet wurden.
Der Repräsentant eines Staates kann Kritik oder Unterstützung genießen, je nachdem ob seine Politik Zustimmung oder Ablehnung erfährt. Es ist eine goldene Regel der Meinungsfreiheit, dass die aktiven Politiker öffentliche Meinungen aushalten und dafür sorgen, dass die Freiheit der Meinung, der Presse, der Wissenschaft und der Kunst gewahrt bleibt. Neben der Rechtsstaatlichkeit einer verfassungsmäßig verpflichtend verbrieften Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit haben die Politiker den Vorteil dabei, die Meinung über ihr Handeln schnell zu erfahren. Die publizierte Meinung ist eine inhaltliche Ergänzung zu den Meinungsumfragen, die von den Parteien, von der Politik und den Medien andauernd und regelmäßig in Auftrag gegeben werden. Es ist also ein Nehmen und Geben in einer kontinuierlichen politischen Auseinandersetzung zwischen den Wahlen. Präsident Erdogan sollte sich bei Herrn Jan Böhmermann bedanken. Stattdessen legt Herr Erdogan heute nach und stellt einen Strafantrag gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung. (http://www.heute.de/boehmermann-satire-erdogan-stellt-strafantrag-wegen-beleidigung-43052290.html)
Wenn Meinungsfreiheit in der Türkei zur Zeit nicht üblich ist und stattdessen über tausend Journalisten in Gefängnissen sitzen und Zeitungen unter Polizeigewalt gestellt werden, dann ist es Sache der Türkei, der türkischen Wähler. In dem „Schmähgedicht“ ist nur vom türkischen Präsidenten die Rede, nicht von den Türken an sich. Präsident Erdogan hat wie jeder andere Politiker auch selbst die Voraussetzungen für die Auseinandersetzung mit seiner Person und seiner Politik geschaffen. Nun muss er damit leben. Für die Bundesregierung gibt es keinen Grund, dem Ersuchen der türkischen Regierung zu folgen und eine Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen.
Flüchtlingspolitik muss verhandelt werden. Die Meinungsfreiheit, Freiheit der Presse, der Wissenschaft und der Kunst sind weder nach innen noch nach außen verhandelbar. Die Bundesregierung darf es nicht zulassen, dass Herr Erdogan in die Bundesrepublik hineinregiert.
Das Gedicht können wir erst diskutieren, wenn die Meinungsfreiheit nicht in Frage gestellt und Satire nicht strafverfolgt wird. Dann kommt die Kultur und Ethik der Satire zu Sprache. Vorher nicht. So geht Demokratie.
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